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Atomkraft als Milliardengrab

  • Autorenbild: Ethius Invest
    Ethius Invest
  • 17. März
  • 6 Min. Lesezeit

Die Kernenergie erlebt aktuell eine Renaissance. Dabei ist von der Hochrisikotechnologie allein schon aus ökonomischen Gründen abzuraten. Mittlerweile warnt sogar der Rechnungshof im traditionell nuklearfreundlichen Frankreich vor hohen Kosten. Für nachhaltig ausgerichtete Investierende ist Atomkraft indes schon seit langer Zeit ein No-Go.

Derzeit setzen global über 40 Länder wieder verstärkt auf Kernenergie. Laut einem im Januar 2025 von der International Energy Agency (IEA) veröffentlichten Bericht planen Länder wie China, Indien und Korea Reaktor-Neubauten. Japan nahm die Produktion trotz Fukushima wieder auf und Frankreich schloss umfassende Wartungsarbeiten ab.[1] Großbritannien beispielsweise richtete zur Förderung des Ausbaus eigens ein neues Progamm ein. Mithilfe von Great British Nuclear möchte es die nuklearen Kapazitäten der Stromerzeugung bis 2050 vervierfachen und verknüpft dieses Ziel explizit mit seiner Green-Finance-Strategie.[2] Auch US-Präsident Donald Trump treibt die Atom-Renaissance voran.[3]


Atomkraft-Comeback: Risiken spielen kaum eine Rolle


Es scheint fast, als ob Nuklearkatastrophen, die schädigende Wirkung der Kernenergie auf Mensch und Umwelt, die Risiken in Zeiten der Erderhitzung, die ungelöste Frage der Endlagerung des radioaktiven Abfalls, aber auch ökonomische Aspekte wie die faktische Unmöglichkeit einer privaten Versicherung, höhere Energiepreise und milliardenschwere Bau- und Folgekosten beim Comeback der Kernenergie nahezu vollkommen ausgeblendet werden. Dabei liegen die Fakten auf dem Tisch und selbst Länder wie Frankreich, das als Heimstätte der Freundinnen und Freunde der Atomkraft gilt, zeigen sich mittlerweile skeptisch.

So kritisierte der französische Rechnungshof in einem 97 Seiten starken Bericht vom Januar 2025 die Pläne von Präsident Emmanuel Macron, sechs neue Atomreaktoren zu bauen. Die Behörde sprach sich dafür aus, das Vorhaben auf Eis zu legen bis die Finanzierung gesichert sei und detaillierte Studien vorlägen.[4] Dem staatlichen Stromkonzern EDF warf der Rechnungshof vor, er habe sich beharrlich geweigert, genaue Zahlen zur Rentabilität und Investitionshöhe vorzulegen. EDF soll die Kosten für den Neubau der sechs Reaktoren 2023 auf 67,4 Milliarden Euro veranschlagt haben. Frühere Schätzungen des Konzerns lagen knapp ein Drittel darunter. [5]


Kostenexplosionen beim Bau von Reaktoren


Genau bei dem Typus an Atomreaktoren, die in Frankreich nach Macrons Willen neu errichtet werden sollen, kam es in der Vergangenheit zu signifikanten Mehrausgaben. So sollen sich die Kosten für das Atomkraftwerk Flamanville 3 in der Normandie, das zwölf Jahre später als geplant ans Netz ging, inklusive Rücklagen für die Endlagerung von 3,3 auf 23,7 Milliarden Euro vervielfacht haben. Die Rentabilität des Vorhabens bezeichnete der französische Rechnungshof nur noch als mittelmäßig. Ähnliche massive Kostensteigerungen gab es zudem bei EDF-Partnerprojekten in Finnland und Großbritannien.[6] Der französische Stromkonzern kämpft mit Milliardenverlusten.[7] Die Schulden sollen sich netto auf 50 Milliarden Euro belaufen. Ständig müsse der Staat Geld nachschießen, beklagt etwa der französische Atomkraftgegner André Jacques.[8]


Trotz der ökonomischen Schwierigkeiten bekennen sich eine Reihe gewichtiger Finanzakteure zur Renaissance der Kernenergie. Im Rahmen einer Klimawoche im Herbst 2024 in New York signalisierten Großbanken wie Barclays, BNP Paribas, Crédit Agricole und Goldman Sachs [9] ihre Unterstützung der „Triple Nuclear Declaration”. Die Erklärung wurde 2023 auf der Klimakonferenz in Dubai verabschiedet. Sie wird mittlerweile von 31 Ländern [10] unterstützt und zielt darauf ab, die nukleare Stromerzeugung bis 2050 zu verdreifachen.


Atomstrom ist teuer


Doch inwiefern Investitionen in Kernenergie ohne staatliche Zuschüsse lukrativ sein können, ist umstritten. Beispielsweise sind die kleinen modularen Kernkraftwerke, die seit vielen Jahren in der Diskussion sind und immer wieder neu als innovative Lösungen angepriesen werden, nicht nur bis auf Weiteres Zukunftsmusik. Sie würden zudem voraussichtlich teuer werden.[11] Selbst Finanzakteure wie Tema ETFs aus den USA, die Atomkraft als Investmentchance sehen und den Rückenwind der Trump-Administration mit dem neuen atomfreundlichen Energieminister Chris Wright nutzen wollen, äußern sich zurückhaltend. Die Entwicklung dieser Energiequelle brauche Zeit. Zudem gebe es in diesem Bereich viele Unternehmen mit großen Verlusten.[12] 

Zu den Kosten von Atomstrom im Vergleich zu Strom aus Erneuerbaren Energien gibt es zahlreiche Studien. Und es heißt, dass die Ergebnisse je nach Auftraggeber und zugrundeliegenden Annahmen sowohl günstig als auch ungünstig für die nukleare Stromerzeugung ausfallen können. Doch lassen gerade differenzierte Einschätzungen aufhorchen. Beispielsweise schätzt David Beck aus der ARD-Wissenschaftsredaktion, der sich in Sachen Sicherheit und Sauberkeit als pro Atomkraft outet, den Strompreis der Kernkraft im Vergleich zu den Erneuerbaren auf das Doppelte bis Dreifache.[13] 


Hohe Kosten bei Bau und Rückbau von Atomkraftwerken

Die Atomlobby führt zu ihrer Verteidigung als weiteren Faktor die Systemkosten ins Feld: Das Stromnetz für Erneuerbare sei weitaus komplexer, weil es dezentral ausgerichtet und für Versorgungsschwankungen gerüstet sein müsse. Dies müsse in den Strompreis mit einkalkuliert werden.[14] Von anderer Seite wird dagegen auf die hohen Kosten am Anfang und am Ende des Lebenszyklus von Atomkraftwerken verwiesen. Damit sind einerseits die Baukosten gemeint. Hier kann Flamanville 3 als Negativ-Beispiel angeführt werden. Und andererseits die Wartung, die Nachsorge und der Rückbau, wozu auch die besonders teure Endlagerung zählt. Würde alles zusammengerechnet, dann sei Atomstrom eine der teureren Energieformen, rechnet der Wissenschaftler Christian Klöppelt vom Fraunhofer-Institut vor.[15] 


Die hohen langfristigen Kosten der Kernenergie zeigen sich gerade dort besonders anschaulich, wo diese Energieform aus Risiko- und Umweltgründen seit 2023 nicht mehr genutzt wird: in Deutschland. Für hunderttausende Tonnen an radioaktivem Abfall wird derzeit ein unterirdisches Endlager gesucht, das wohl erst im nächsten Jahrhundert den Betrieb aufnehmen wird. Es wird von Kosten in Höhe von mindestens 100 Milliarden Euro ausgegangen.[16]


Radioaktive Abfälle: Atomkonzerne kauften sich frei

Der Atommüll ist in Deutschland zurzeit in Zwischenlagern, Landessammelstellen, Abklingbecken und provisorischen Lagern an stillgelegten Kraftwerken auf über 200 Orte verteilt. Jeder einzelne verursacht Kosten für den Staat und damit für alle Bürgerinnen und Bürger. Denn mit dem 2017 von der damaligen Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel eingerichteten Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (Kenfo) entledigten sich die Atomkonzerne des Problems. In den Fonds zahlten sie damals ein- und letztmalig 24,1 Milliarden Euro ein. Ob dieser Betrag, der bis 2099 über den Kapitalmarkt auf 130 Milliarden Euro vergrößert werden soll, ausreicht, ist umstritten. Fest steht aber: Die Atomkonzerne sind raus. Etwaige Mehrkosten tragen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.[17] 


Und dass die finanziellen Risiken immens sind, zeigen die Zwischenlager bereits heute. So ist es beim Atommülllager Asse II im Landkreis Wolfenbüttel notwendig, den radioaktiven Abfall aus dem Salzstock rauszuholen, neu zu verschließen und in einem noch zu bauenden Notlager zwischenzulagern. Die Kosten werden auf 4,7 bis 5,7 Milliarden Euro geschätzt. Das ehemalige Eisenerzbergwerk Schacht Konrad bei Salzgitter muss zum Atommülllager umgebaut werden. Es wird von 5,47 Milliarden Euro Gesamtkosten ausgegangen und von jährlichen Betriebskosten in Höhe von 120 Millionen Euro. Für den Rückbau von fünf nach der Wende ausgemusterten Meilern in Greifswald sind bereits 6,5 Milliarden Euro angefallen. Die Gesamtkosten werden jedoch mittlerweile mit zehn Milliarden Euro veranschlagt. Es ließen sich noch weitere Beispiele anführen,[18] die einmal mehr zeigen: Obwohl Kernkraftwerke in Deutschland keinen Strom mehr liefern, werden sie für den Staat weit bis in das nächste Jahrhundert hinein als Geldvernichtungs-Maschine wirken – Atomkraft als Milliardengrab!


Versicherung nur mit Staatshaftung


Und Kernenergie birgt ein weiteres finanzielles Risiko mit sich. So ist ohne den Staat als Back-Up-Lösung kein privatwirtschaftlicher Akteur bereit, die Risiken von Atomkraftwerken zu versichern. Selbst FDP-Chef Christian Lindner stellt 2022 die Frage, wo es einen privaten Versicherer gäbe, der das Risiko der Kernenergie am Markt versichern würde und räumte ein, dass dies wohl nur mit Staatshaftung gelingen könne.[19] In Deutschland sind Atomkraftwerke tatsächlich haftpflichtversichert. Die Versicherungssumme ist jedoch auf einige hundert Millionen Euro begrenzt. Dabei könnten die Schäden bei einem Größten Anzunehmenden Unfall (GAU) leicht das Tausendfache betragen. Ein Versicherungsexperte rechnete einmal vor, dass 72 Milliarden Euro Haftpflicht pro Jahr verlangt werden müssten, wenn über 50 Jahre ausreichend Prämien, etwa für die Restlaufzeit eines Meilers, aufgebaut werden sollten.[20]


Ähnlich wie bei den fossilen Energien werden bei der Kernenergie also Gewinne privatisiert und Kosten sozialisiert. Hinzukommen weitere Herausforderungen. Beispielsweise erforderte 2023 die sommerliche Dürre in Frankreich, dass wegen Mangels an Kühlwasser Atomkraftwerke stellenweise heruntergefahren werden mussten.[21] Kernkraft erwies sich damit als eine Technologie, die nicht gut an den Klimawandel angepasst ist. Zudem ist sie keinesfalls emissionsfrei, auch wenn dies immer wieder behauptet wird. Denn bereits bei der Produktion der Brennelemente entstehen Treibhausgase.[22] Andere verweisen auf geopolitische Risiken im Zusammenhang mit Abhängigkeiten von Uranlieferanten wie Russland.[23] Ein besonders großes Gewicht kommt der Endlagerung zu. Sie ist teuer, ungelöst und bedeutet eine schwere Hypothek für künftige Generationen.


Ausschluss von Atomkraft ist eine Frage der Vernunft

Dennoch unterstützt Brüssel Investitionen in Kernenergie im Rahmen der EU-Sustainable-Finance-Politik: Unter bestimmten Bedingungen kann Atomkraft über die EU-Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten als grün eingestuft werden, was einer Förderabsicht gleichkommt. In Deutschland, wo das Zielmarktkonzept vom Fondsverband BVI und anderen den Marktstandard für nachhaltige Finanzprodukte vorgibt, zählt Kernenergie nicht zu den Mindestausschlüssen.

Nachhaltig Investierende wie der unabhängige Vermögensmanager und Fondsinitiator Ethius Invest schließen Atomenergie dagegen von je her aus ihren Anlageuniversen aus. Im aktuellen Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen, den der deutsche Branchenverband Forum Nachhaltige Geldanlagen jährlich herausgibt, schaffte es die Kernkraft in den Top Ten der Ausschlusskriterien allerdings nur auf Platz neun.[24] Diese mag verwundern, weil gegen die Atomkraft neben ökologischen und sozialen auch handfeste ökonomische Argumente sprechen. Sie ist nicht wettbewerbsfähig, birgt das Risiko unkalkulierbarer weiterer Kostenexplosionen und zieht das Geld dort ab, wo es gebraucht wird: bei den Erneuerbaren. Denn eine Stromversorgung in Deutschland ohne Gas- und Atomkraftwerke ist möglich, wie jüngst wieder eine Analyse des akademischen Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS), welches von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina getragen wird, bestätigte.[25]



[5] Ebenda.

[6] Ebenda.

[15] Ebenda.

[17] Ebenda.

[18] Ebenda.







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