In der klassischen Betriebswirtschaftslehre liefern Key Performance Indikatoren (KPIs) Aussagen über die Performance eines Unternehmens. Diese Leistungsindikatoren beziehen sich auf kritische Erfolgsfaktoren wie die Effektivität einer Anlage, den Auslastungsgrad einer Maschine, oder die Leistungsstärke der Mitarbeiter:innen. Wenn der Erfolg eines Unternehmens jedoch nur über betriebswirtschaftliche Messwerte definiert wird, bilden die Messzahlen eine sehr eindimensionale Grundlage für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens; es handelt sich hierbei um eine isolierte Betrachtung der ökonomischen Dimension, ohne Berücksichtigung von Umwelt und Gemeinschaft, in die das Unternehmen eingebettet ist. Zwischen den drei Komponenten - Unternehmen, Umwelt, Gesellschaft - bestehen unumgehbare Abhängigkeiten für ein erfolgreiches Wirtschaften, daher ist es mindestens ebenso wichtig, anhand von aussagekräftigen Nachhaltigkeitskennzahlen zu messen, welchen Benefit ein Unternehmen für Mensch und Umwelt erwirtschaftet, oder welchen Schaden es in dieser Hinsicht allenfalls verursacht.
Warum sind KPIs auch in der Nachhaltigkeit wichtig?
Unternehmen, die ihre Stakeholder anhand klar definierter Kriterien und Kennzahlen über ihre zentralen Strategien, Maßnahmen und Fortschritte informieren, erlauben diesen, langfristige Entwicklungen, Fort- und Rückschritte leicht zu erkennen.[1] Gemäß dem Umweltmanagementsystem Eco-Management and Audit Scheme (EMAS), das von der Europäischen Union entwickelt wurde um Organisationen zu helfen, ihre Umweltleistung zu verbessern, stellt die Nutzung von Kennzahlen den Rahmen für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess im Unternehmen.[2] Auch in Bezug auf die unternehmerische Sorgfalt bei der Einhaltung der Menschenrechte und Schutz der Umwelt entlang der gesamten Wertschöpfungskette, und um diese zu messen und zu steuern, sind Unternehmen auf vergleichbare und nachvollziehbare Daten und Fakten in diesem Bereich angewiesen.[3] So informieren viele Unternehmen beispielsweise zu Umweltaspekten mithilfe verschiedener Kennzahlen, wie Treibhausemissionen, CO2-Einsparungen, Wasserverbrauch, Energieverbrauch, Abfallaufkommen und Wiederverwertungsraten. Hieran lässt sich messen, inwiefern ein Unternehmen seinen ökologischen Fußabdruck verkleinern konnte.[4] Ein zentraler Effekt der Berichterstattung wirkt auch innerhalb der Organisation: Durch die strategische Auseinandersetzung und Implementierung von neuen Kennzahlen, Richtlinien, Zielvorgaben, Prozessen und Verantwortlichkeiten wird Corporate Social Responsibility (CSR) in das Tagesgeschäft vieler Bereiche und Entscheidungsebenen integriert.[5]
Nachhaltigkeits-KPIs für international agierende Organisationen und Unternehmen beziehen sich sowohl auf Indikatoren im Unternehmen selbst als auch auf ihren Umgang mit Stakeholder:innen wie ihren Kund:innen, dem Staat, der Gesellschaft und nicht zuletzt ihren Lieferanten. Denn falls negative Umweltauswirkungen und soziale Verstöße auftreten, passiert dies oftmals in vorgelagerten Prozessen innerhalb globaler Lieferketten. So fallen die Mehrheit von CO2 Emissionen in produzierendem Gewerbe als Scope 3 Emissionen an, sprich im Rahmen der gesamten Wertschöpfungskette.[6] Eine Vielzahl von Menschenrechtsverstößen, die in der Vergangenheit im Zusammenhang von börsengelisteten Unternehmen aufgedeckt wurden, fielen nicht im Betrieb selbst, sondern in fernen Produktionsstätten bei mittelbaren oder unmittelbaren Zulieferern, die z.B. in Entwicklungsländern arbeitsintensiven Produktionen nachgehen.[7]
Die Relevanz von sozialen KPIs wird kaum beachtet
Üblicherweise wird zwischen ökologischen KPIs und sozialen KPIs unterschieden. Erstere sind in der Regel leichter quantifizierbar, denn verschiedene Methoden und Konzepte von Ökobilanzen erlauben es, die Umweltbelastung von Unternehmen in ihren Haupttätigkeiten sowie in ihren vor- und nachgelagerten Prozessen zu messen. Aspekte wie die CO2-Emissionen, den Wasser-, Land- und der Materialverbrauch, der Anteil an Energieverbrauch aus erneuerbaren Quellen, oder der Anteil Verbrauch von rezykliertem Material sind in absoluten Zahlen fassbar. Anders verhält es sich mit sozialen KPIs: Allgemein anerkannte Methoden für die Messung der “Sozialbelastung” von Unternehmen sind seltener. Oftmals werden diese Angaben durch Umfragen erfasst, zum Beispiel wenn es darum geht, den Zufriedenheitsgrad von Lieferanten oder Mitarbeiter:innen zu ermitteln. Auch die Daten zu Auswirkungen der Tätigkeiten eines Unternehmens auf lokale Gemeinschaften lassen sich weniger leicht quantifizieren als der CO2-Fußabdruck eines Unternehmens. Es gilt jedoch hervorzuheben, dass soziale und ökologische KPIs eng miteinander verflochten sind, denn der Einfluss von ökologischen Faktoren auf die Gesundheit und das friedliche Zusammenleben von Menschen ist unbestritten. So verabschiedete der Menschenrechtsrat der UNO Anfang Oktober 2021 eine ab sofort wirksame Resolution, die das Leben in sauberer Umwelt als ein Menschenrecht anerkennt. Dies untermauert, dass die Umweltzerstörung und der Klimawandel als miteinander verknüpfte Menschenrechtskrisen gelten.[8]
Die Wesentlichkeitsanalyse und die Aussagekraft von KPIs
Die Komplexität und die Vielschichtigkeit des Themas Nachhaltigkeit erfordert, dass jedes Unternehmen diejenigen KPIs misst, die für seine Geschäftstätigkeiten am relevantesten sind. Aspekte wie die Branche, das Geschäftsfeld, oder die geopolitischen Gegebenheiten, in denen ein Unternehmen tätig ist, bergen unterschiedliche Risiken und Chancen in Bezug auf die soziale und ökologische Nachhaltigkeit, und dies soll sich auch in den KPIs wiederspiegeln. Hierzu ist eine Wesentlichkeitsanalyse zwingend notwendig. Sie zeigt auf, auf welchen Themen ein Unternehmen bei der Festlegung der KPIs den Schwerpunkt setzen sollte. Ein Unternehmen sollte die Themen behandeln, die seine essentiellen ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen aufzeigen, sowie die Beurteilung und Entscheidungen der Stakeholder erheblich beeinflussen.[9] Die Stakeholder umfassen hier beispielsweise verantwortliche Investoren, die anhand von aussagekräftigen Informationen bezüglich Nachhaltigkeit wirtschaftliche Entscheidungen treffen. Durch die Wesentlichkeitsanalyse wird beurteilt, wie hoch der Einfluss der Organisation im Rahmen eines spezifischen Themas auf die Umwelt, die Gesellschaft und oder die Wirtschaft ist. Außerdem wird beurteilt, welche Themen für die Anspruchsgruppen des Unternehmens am relevantesten sind. Diese zwei Dimensionen sollten von Unternehmen unter Einbezug der Stakeholder ermittelt werden. Ohne Wesentlichkeitsanalyse könnten Unternehmen der Versuchung verfallen, nur Kennzahlen über diejenigen Themen offenzulegen, bei denen sie bereits gut abschneiden und sich somit vorwiegend in einem guten Licht zeigen. Vielmehr ist für die Transparenz einer Geschäftstätigkeit relevant, in welchen Fragen ein Unternehmen Aufholbedarf hat. Der Schokoladenproduzent Barry Callebaut sticht in dieser Hinsicht heraus. Seine Wesentlichkeitsmatrix zeigt, dass das Thema Kinderarbeit in der Lieferkette das relevanteste Nachhaltigkeitsthema seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten ist, wie in der untenstehenden Abbildung ersichtlich ist.[10] Dementsprechend nimmt dieses Thema bei der Definition der KPIs des Konzerns einen hohen Stellenwert ein. So gibt das Unternehmen in seinem Nachhaltigkeitsbericht für den Zeitraum 2019/2020 an, 22’965 Fälle von Kinderarbeit in seiner Lieferkette erkannt zu haben.[11]
Abbildung 1: Barry Callebaut Group materiality Assessment 2021; Quelle: Barry Callebaut
Vorsicht vor vermeintlicher Transparenz
Nachdem eine Wesentlichkeitsanalyse hervorgebracht hat, welche Nachhaltigkeits-KPIs am relevantesten für die Tätigkeit eines Unternehmens sind, ist es wichtig, die Aussagekraft der einzelnen KPIs kritisch zu hinterfragen. In erster Linie geht es darum, dass ein Unternehmen gewisse Umstände erhebt, und transparent darüber berichtet. Dabei kann es sich beispielsweise darum handeln, anzugeben, wie groß der prozentuale Anteil der Lieferanten ist, die auf ihre soziale Auswirkung hin überprüft werden. Diese Kennzahlen dienen dazu, Dritten zusätzliche Informationen über die Risikoexponierung des Unternehmens in Bezug auf Umwelt-, Sozial- und Governance (ESG)-Risiken zu liefern.[12] Auch wenn diese Datenerhebung über die Anzahl geprüfter Lieferanten nicht direkt zu einer Verbesserung der Umstände führt, ist ihre Offenlegung oft eine Voraussetzung für die Umsetzung von Maßnahmen zur Minderung der damit verbundenen Risiken. Weiter ermöglicht es Stakeholdern, der Öffentlichkeit und dem Unternehmen selbst, sich in die Verantwortung zu nehmen und den eigenen Fortschritt über die Zeit zu messen. Sie kann zum einen als Ansporn dienen und außerdem die Basis für zukünftige Zielsetzungen legen.
Transparenzbezogene KPIs sind jedoch nicht selten auch mit Vorsicht zu genießen. Aussagen, die auf dem ersten Blick transparent wirken, können bei genauerer Betrachtung zu wünschen übrig lassen. Wenn beispielsweise die KPIs eines Unternehmens die Anzahl der Lieferanten offenlegen, bei denen der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird, kann die Erkenntnis, dass der Mindestlohn in vielen Fällen noch kein menschenwürdiges Leben ermöglicht, leicht untergehen. Die Asia Floor Wage Alliance berechnet zum Beispiel, was ein asiatischer Mitarbeitender für einen existenzsichernden Lohn, mit Berücksichtigung auf sein individuelles Umfeld, benötigt (Living Wage).[13] Aussagekräftiger in diesem Kontext wären Offenlegungen zur Anzahl der Maßnahmen, die getroffen wurden, um zu einer Verbesserung der gesetzlichen Standards zu führen, sprich zur Angleichung des gesetzlichen Mindestlohnes an einen existenzsicherndem Lohn.
Die Global Reporting Initiative und andere Instrumente zur Nachhaltigkeitsberichterstattung
Eine weitere Voraussetzung für die Aussagekraft von KPIs ist, dass sie in ein Rahmenwerk eingebunden werden. Denn nur so kann eine Vergleichbarkeit in Bezug auf die Entwicklung eines Unternehmens von Jahr zu Jahr sowie im Vergleich zu seinen Peers gewährleistet werden. Das weltweit am meisten verwendete Werkzeug für die Nachhaltigkeitsberichterstattung aufgrund von KPIs sind die Standards der Global Reporting Initiative, besser bekannt als GRI-Standards. Diese unabhängige internationale Organisation unterstützt Unternehmen und andere Organisationen dabei, Verantwortung für Transparenz übernehmen, indem sie ihnen eine globale gemeinsame Sprache zur Verfügung stellt, um diese Auswirkungen zu kommunizieren. Das GRI Regelwerk ist aktuell der am häufigsten angewendete Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung aber auch andere Regelwerke wie das Sustainability Accounting Standards Board (SASB) gewinnen an Relevanz.[14] Dies spiegelt sich ebenfalls im Unternehmensportfolio von Ethius Invest wieder, in dem 22 von 50 Unternehmen jahresaktuell nach GRI berichten, darunter Geberit, Sonova Holding und Hannover Rück. Andere Unternehmen, wie Swiss Re oder Canadian National Railway, berichten nach SASB.[15]
Aktuell ist die Auswahl von nachhaltigkeitsbezogenen Regelwerken groß, sodass vermehrt die Nachfrage nach einem universellen Regelwerk laut wird.[16] Dabei wäre es eminent wichtig, Schwachstellen auszumerzen, die viele Rahmenwerke gemeinsam haben: während für Umweltstandards in vielen Fällen bereits externe Audits existieren, beruhen Aussagen zu sozialen KPIs überwiegend auf Selbstauskünften, die oftmals extern nicht oder nur unzureichend überprüft werden.
Fazit
Aussagekräftige Nachhaltigkeits-KPIs sind unentbehrlich, damit Dritte erkennen können, wie ernst ein Unternehmen es mit seinem CSR-Reporting meint. Dabei ist nicht nur entscheidend mit welchem Standard berichtet wird, sondern vielmehr wie detailliert und aussagekräftig die offengelegten Informationen dargelegt werden. Man sollte sich davor hüten, die Offenlegung jeglicher Nachhaltigkeits-KPIs vorschnell nur positiv zu bewerten: Aktuell erhalten Firmen durch die Offenlegung gewisser KPIs Transparenzpunkte von Ratingagenturen, obwohl die mangelnde Aussagekraft dieser KPIs zu keinem großen Mehrwert führt. Dies gilt insbesondere in Bezug auf soziale Fragen, was teilweise der größeren Bandbreite und Komplexität sozialer Themen sowie der Absenz eines gemeinsamen Ziels wie das Pariser Klimaabkommen im sozialen Bereich geschuldet ist.[17]
[1]https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Unternehmen/CSR-Berichterstattung/Standards/standards-artikel.html [2]https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/umweltkennzahlen_in_der_praxis_leitfaden_barrierefrei.pdf [3]https://kompass.wirtschaft-entwicklung.de/fileadmin/user_upload/Praxishilfen/PH_04_Kennzahlen_Sorgfaltsprozess.pdf [4]https://www.haufe.de/controlling/controllerpraxis/nachhaltigkeitscontrolling-die-wichtigsten-kennzahlen_112_527322.html [5]https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Unternehmen/CSR-Berichterstattung/Standards/standards-artikel.html [6]https://ecochain.com/knowledge/scope-1-2-and-3-emissions-overview-to-direct-and-indirect-emissions/ [7]https://lieferkettengesetz.de/wp-content/uploads/2020/12/Initiative-Lieferkettengesetz-Von-Bananen-bis-Bauxit.pdf [8] https://news.un.org/en/story/2021/10/1102582 [9] https://www.globalreporting.org/standards/ [10]https://www.barry-callebaut.com/en/group/forever-chocolate/forever-chocolate-strategy/thats-what-forever-chocolate-all-about [11]https://www.barry-callebaut.com/sites/default/files/2020-12/Forever%20Chocolate%20GRI_Report_2019-20_0_1.pdf [12] https://api.shareaction.org/resources/reports/Voting-Matters-2020.pdf [13]http://asia.floorwage.org/ [14]https://www.globenewswire.com/news-release/2020/07/16/2063434/0/en/90-of-S-P-500-Index-Companies-Publish-Sustainability-Reports-in-2019-G-A-Announces-in-its-Latest-Annual-2020-Flash-Report.html [15] Ein GRI Reporting wird nur dann als ein solches bewertet, wenn regelmäßig (mindestens jährlich) die Reports auch an GRI geliefert werden. Etwa die Hälfte der Unternehmen, die aktuell bei Ethius Invest unter "No Reporting" geführt werde, haben in der Vergangenheit schon einmal nach GRI berichtet, manche davon sind jetzt auf SASB umgestiegen und verzichten auf GRI. [16] https://www.irmagazine.com/reporting/more-half-sp-global-1200-using-sasb-framework [17] https://api.shareaction.org/resources/reports/Voting-Matters-2020.pdf