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AutorenbildEthius Invest

Virtuelle Hauptversammlungen im Hinblick auf die aktuellen Corona-Maßnahmen

Aktualisiert: 15. Juni 2021

Eine Gefahr für die Aktionärsdemokratie?


Die Hauptversammlung als Voraussetzung für aktives Engagement


Eine der drei großen Säulen zur Förderung nachhaltiger Handlungsweisen von Unternehmen ist das Engagement, indem die Aktionäre den direkten Dialog mit den Unternehmen suchen und von ihren Aktionärsrechten Gebrauch machen. Als Teil dieser Aktionärsrechte sind grundsätzlich die Abstimmungen auf den jährlichen Hauptversammlungen zur Wahl des Aufsichtsrats, zur Entlastung des Vorstands und zur Gewinnverwendung zu nennen, sowie das Antragsrecht. Im Rahmen ihres Engagements ist es wichtig, dass Aktionäre aktiv Einfluss nehmen, Unternehmen zu “Good Governance” verpflichten und für Umwelt- und Sozialverantwortung sensibilisieren. Offene Fragen und Raum für Dialog und Diskussion sind zur Erlangung nachhaltiger Ergebnisse unabdingbar, um Forderungen nach konkreten Anpassungen von unternehmensinternen Richtlinien oder Offenlegungspflichten durch die Aktionäre nachzukommen. Hierzu können Aktionäre Anträge zur Einbringung von Tagesordnungspunkten stellen. Hauptversammlungen – in der Schweiz Generalversammlungen genannt – sind somit eine essenzielle Plattform für die Wahrnehmung von Aktionärsrechten.



Möglichkeiten und Kehrseiten virtueller Hauptversammlungen


Seit Beginn 2020 waren aufgrund der coronabedingten Einschränkungen des Versammlungsrechts durch die Gesetzgeber in mehreren Ländern Hauptversammlungen nur noch virtuell durchführbar. Dies hatte zunächst auch Vorteile, sowohl für das Aktionariat als auch für die Umwelt: Virtuelle Veranstaltungen haben einen kleineren ökologischen Fußabdruck. Gleichzeitig wird die Teilnahme erleichtert und ist Zeit und Geld sparender. Eine im Dezember 2020 veröffentlichte Studie von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und Better Finance, einer NGO, welche die Interessen der europäischen Bürger als Nutzer von Finanzdienstleistungen gegenüber dem Gesetzgeber und der Öffentlichkeit vertritt, bestätigte die positiven Komponenten. Die im Zuge der Studie gemachte Umfrage, die Stärken und Schwächen von virtuell durchgeführten Hauptversammlungen in der EU untersuchte, hob jedoch auch auch die Mängel der virtuellen Veranstaltungen im Jahre 2020 hervor.


Hierbei handelte es sich vor allem um die Einschränkung des Rederechts, des Fragerechts und der Erläuterung von Aktionärspositionen. So konnte sich das Aktionariat gemäß dem Dachverband der kritischen Aktionäre, einer Aktionärsvereinigung, die sich bei Konzernen für mehr Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit einsetzt, während der virtuellen Hauptversammlungen im Jahr 2020 nicht über eine Wortmeldung zur Rede anmelden. Demzufolge schlossen einige Unternehmen zulässigerweise Antragsrechte von Aktionären aus[1], da Anträge laut Gesetz standardmäßig in der Hauptversammlung erneut gestellt werden müssen [2]. Bezüglich des Fragerechts musste zwar der Vorstand eines Unternehmens gemäß der im März 2020 kurzfristig inkraftgetretenen Notstandsgesetzgebung bis zwei Tage vor der Hauptversammlung Fragen zu relevanten Themen entgegenzunehmen, es lag jedoch im Ermessen des Unternehmens selbst, ob allfällige Rückfragen während der eigentlichen Hauptversammlung zugelassen wurden.[3]


Klar ist, dass durch ein solches Vorgehen die Aktionäre in ihrem Recht, die Geschäftsleitung aktiv für soziale, ethische und ökologische Anliegen, wie die Offenlegung und die Reduktion der vom Unternehmen verursachten Treibhausgasemissionen oder des Biodiversitätsverlusts, zu gewinnen, erheblich beschnitten wurden. Die Grundvoraussetzung, durch die das breitere Aktionariat befähigt wird, in der Folge über solche Anträge abzustimmen, ist eine offene Debatte. Hierzu müssen Fragen gestellt werden können, und die Aktionäre müssen aussagekräftige Antworten erhalten. In virtuellen Hauptversammlungen 2020 war diese Voraussetzung, so hat sich gezeigt, häufig nicht mehr gegeben. Dementsprechend äußerten Teilnehmer der genannten Studie Bedenken, dass Unternehmen die Gelegenheit nutzen könnten, sich die bevorzugten Fragen auszusuchen und andere schlicht auszulassen. Aktionäre vermissten außerdem den hohen Grad an Transparenz, der in einer präsenzialen Versammlung durch die Möglichkeit für alle Anwesenden zur Nachfrage gegeben ist.



Wie viel Engagement ist 2021 möglich?

–Virtuelle Hauptversammlungen vor der Probe


Der Bericht von Better Finance und DSW zeigt auf, dass die Notstandsgesetze zahlreicher EU-Staaten die Aktionärsrechte im vergangenen Jahr negativ beeinträchtigten. Während viele Verständnis dafür zeigen, dass Unternehmen und Politik aufgrund der kurzfristigen Implementierung neuer Versammlungs- und Kommunikationsformen keine perfekten Bedingungen für virtuelle Hauptversammlungen gewährleisten konnten, dürften ähnliche Einschränkungen im Jahr 2021, aufgrund höherer Vorlaufzeit und erster einschlägiger Erfahrungen, auf mehr Unverständnis stoßen. Nach Forderungen von Aktionärsschutzvereinigungen nach einer Stärkung der Aktionärsrechte in diesem Rahmen sowie nach einer Verbesserung der Online-Kommunikation zwischen Aktionären und Verwaltung [4], hat der Gesetzgeber in einigen Punkten nachgebessert: so ist die Verwaltung in Deutschland nun grundsätzlich verpflichtet, fristgerecht, das heißt bis zu einem (statt zuvor zwei) Tag vor der Hauptversammlung, eingegangene Fragen zu beantworten. Es ist dem Vorstand jedoch weiterhin erlaubt, inhaltlich ähnliche Fragen zusammenzufassen.[5] Neu werden auch Anträge oder Wahlvorschläge, die im Vorfeld der Hauptversammlung von Aktionären gestellt wurden, als gültig erklärt und können somit nicht mehr ausgeschlossen werden.


Ob diese Anpassungen auf gesetzlicher Ebene genügen werden, um die Aktionärsrechte im Jahr 2021 im Sinne eines seriösen Engagement-Prozesses ausreichend sicherzustellen, wird sich erst zeigen. Die Forderungen der durch DSW und Better Finance befragten Aktionäre gingen nämlich weiter: Sie forderten mehr Transparenz, zum Beispiel durch die Bekanntgabe der Reden der CEOs und der Stakeholder-Statements, sowie durch die Offenlegung von Fragen der Aktionäre im Vorfeld der Hauptversammlungen. Außerdem wird die Bereitstellung einer Plattform für den Austausch unter Aktionären verlangt. Nun liegt also der Ball bei den Unternehmen, diesen Forderungen nachzukommen. Werden die Ansprüche nicht erfüllt, könnte es aufgrund fehlender Debatten zu einer inakzeptablen Verschiebung der Kräfteverhältnisse zugunsten der Geschäftsführer kommen, welche gemäß den Aussagen der durch Better Finance und DSW befragten Aktionäre bereits 2020 spürbar war. Denn wird der Dialog weiterhin eingeschränkt, besteht die Gefahr, dass die Versammlungen zu reinen Informationsveranstaltungen herabgesetzt werden.[6]



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